(English Version see below)
Asta Gröting in einem Interview mit der Kuratorin Veronica Tocha, „Abformung als Kunst. Ein Gespräch mit Asta Gröting“, anlässlich der Ausstellung „Nah am Leben. 200 Jahre Gipsformerei“ in den Staatlichen Museen zu Berlin, 2019, 202-205.
Frau Gröting, warum arbeiten Sie mit Abformungen?
Mit dem Abformen und Abgießen begann meine bildhauerische Ausbildung. Der Arbeitsprozess, Material auf Material abzuformen, war vom ersten Augenblick an meine konzeptuelle Wahl. Es hat dann aber viele Jahre gedauert, bis ich mir der weiteren inhaltlichen und emotionalen Möglichkeiten dieses Verfahrens bewusst wurde. Was aus einem Abdruck hervorgeht, aus der direkten Übertragung von Material zu Material, hat eine große Intensität. Es rührt an, wie der Schuh im Schnee oder das klassische Positiv-Negativ-Umformverfahren. Etwas, das zeigt, dass da eine Berührung stattgefunden hat, habe ich mit existierenden Formen und Strukturen zusammengebracht.
Sie arbeiten viel mit Negativen, aber Acker ist ein Positiv.
Ja, richtig. Wir haben zwanzig Säcke Gips auf einen Acker gekippt, das Ganze in vier Teile geteilt und ins Atelier gefahren. Die schweren Gipsnegative lagen dann dort auf dem Boden. Zunächst war ich ratlos, ich hatte eigentlich gedacht, das reicht so. Aber das Negativ funktionierte nicht, man konnte es nicht als gepflügten Acker erkennen. Die Furchen, die vor Ort tief in die Erde einschneiden, stehen im Negativ spitz hoch. Wenn Dinge anders erscheinen, als wir es gewohnt sind, erzeugt das eine Überraschung und positive Gefühle im Gehirn, im Stirnlappen des Großhirns. Aber das funktioniert nur, wenn man irgendetwas erkennt und assoziieren kann.
Und deshalb mussten Sie das Negativ in ein Positiv übersetzen, damit man überhaupt verstehen kann, was man da vor sich hat?
Genau. Von Acker gibt es mehrere Positivabformungen, ich habe experimentiert. Zunächst machte ich einen erdfarbenen Acker, dann habe ich einen mit Phosphor eingefärbt, der nachts leuchtet wie ein Mond, die letzten haben verschiedene Goldlegierungen. Durch Abgießen entsteht die Möglichkeit der Veränderung von Guss zu Guss.
In der Ausstellung zeigen wir die vergoldete Version. Hat die Vergoldung damit zu tun, dass Sie der Arbeit auf dem Acker Wertschätzung zukommen lassen wollten?
Ja. Ich wollte die Kostbarkeit der Erde zeigen. Bis vor einigen Jahrzehnten war der Großteil der Menschen Bauern und Bäurinnen, die den ganzen Tag das Land bestellt haben. Mit den Überschüssen wurden König*innen, Beamte, Künstler*innen, Denker*innen ernährt. An einem Acker kann man ablesen, wie die menschliche Gemeinschaft miteinander verbunden ist. Alles, was wir essen, beinhaltet die Arbeit von Bauern und Bäurinnen, Einwanderer*innen, Landarbeiter*innen, Lkw-Fahrer*innen, es hängt vom globalen Klima ab und vom jahrhundertelangen Experimentieren mit Anbaumethoden. Wir stehen über den Acker mit anderen Menschen in wechselseitiger Verbindung. Gold ist Reichtum im Materiellen und im Geistig-Spirituellen. Es verkörpert das Wertvolle, das Treue, das Höchste, das Aufgewertete. Der Glanz von Gold ist wärmend und strahlend, wie das Licht und die Sonne.
Die Arbeit mit Gips spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Schaffen. Am Ende landen Sie aber fast immer bei anderen Materialien, etwa Silikon. Dazu muss man wissen, dass im Gipskunstformerhandwerk Silikon die Gelatine als Abformmasse abgelöst hat.
Silikon ist stabil, haltbar und macht alles mit. Die vier Meter große Fassade in sechzehn Metern Höhe in einzelnen Teilen mit Gipsstücken oder Gelatine abzuformen wäre sehr aufwändig gewesen. Das würde man machen, wenn man die Tradition pflegen will, wie die Gipsformerei es tut. Vom Pergamon-Altar gibt es ja auch die großen alten Gipsnegative, die wie ein 3D-Puzzle aus Hunderten von Teilen zusammengesetzt werden müssen. Space between lovers (2014) oder Space between two people having sex (2008) hätten wir nicht aus Gips machen können. Das war ein Paar beim Sex, für die Abformung hatten wir nur wenige Minuten Zeit, das konnte nur mit einem schneller abbindenden Material geschehen. Durch die Materialbeschaffenheit von Silikon ist ein ganz neuer Aspekt hinzugekommen. Beim Abziehen des Silikons von den Körpern entstand eine Form, die ich mir nie hätte ausdenken können. Mein Plan war, den Raum zwischen einem Paar konzeptuell von innen nach außen zu kehren. Aber weil der Negativ-Abdruck eine weiche Silikonhaut war, klappte die Form auseinander. Ich hatte nicht geplant, sie auseinanderzufalten, so weit hatte ich gar nicht gedacht, ich wollte erst einmal sehen, was da überhaupt für eine Form entsteht. So haben sich aus dem ursprünglichen Plan aufgrund der Materialität des Silikons neue Möglichkeiten entwickelt, den allerersten Abdruck des Paares im Moment einer intimen Performance in verschiedene sich verändernde Formen und Materialien zu überführen – in rosa Silikon, glasklares oder versilbertes Polyurethan.
Die Skulptur der Liebenden zeigt den wohl intimsten Moment zwischen zwei Menschen, den man sich vorstellen kann. War es ein Motiv für Sie, diesen Moment mithilfe des Abgusses besonders lebensnah darzustellen?
Nein, eigentlich wollte ich sehen, wie das aussieht, was man nicht sehen kann – der Raum zwischen einem sich liebenden Paar, die Luft. Dieser Raum ist eigentlich ein geschützter Raum, er enthält all das, was man nicht sagen kann oder auch nicht sagen will, was auch ganz allgemein für eine zwischenmenschliche Beziehung gilt. Es geht um zwei Menschen und das, was zwischen ihnen passiert, mit allem, was dazu gehört, mit dem Verschwiegenen, dem Unsagbaren, dem Unbenennbaren. Davon habe ich einen Abdruck gemacht, der eine konkrete Berührung war und zugleich durch Material auf Haut stattfand. Im Sichtbarmachen ist dann die Frage der Berührung hervorgetreten und blieb als Negativ bestehen. Wenn die Haut außerdem Zugang zur körperlichen und seelischen Verfassung hat, kann sie umgekehrt auch alle möglichen Gefühle an die Oberfläche holen – Geschichtliches und Persönliches, das sich in Zeichen und Spuren zeigt. Konzeptuell und emotional geht es hier um das Miteinander, wie auch bei Acker und den Fassaden, die durch bildhauerische Erkundungen den inneren Raum hervorbringen.
Was steckt inhaltlich hinter den Fassaden?
Während der Sanierung von Berlin verschwanden immer mehr beschädigte Häuserfassaden. Es ist die Strategie der Städte, neue glatte Fassaden zu schaffen und die Fassaden, die Spuren und Schäden zeigen, auszuradieren. Ich wollte die letzten kriegsversehrten Fassaden mit Einschusslöchern festhalten, die es in Berlin noch gibt. Fassaden sind die Gesichter der Häuser. Die Begriffe Fassade und Gesicht/face haben viel miteinander zu tun. Fassade kommt vom lateinischen facies, Gesicht. Es gibt bröckelnde Fassaden, und hinter Fassaden bleibt vieles verborgen. Was einen beim Anblick eines Gesichts am meisten in den Bann schlägt, sind die Narben und Verletzungen. Genau wie Gesichter haben auch Fassaden Narben und Verletzungen. Da berühren das Beschädigte, die Spuren der Zerstörung, die Risse, die einen Spalt in die Vergangenheit offen lassen, mehr als das Glatte. Die Fassaden, die wir abgeformt haben, wurden in den Straßenkämpfen zwischen der Roten Armee und der Wehrmacht in den letzten beiden Kriegswochen im April 1945 zerstört. Mich interessiert daran das Verdrängte und Verletzte: die psychischen Narben, das Trauma, das vielleicht an die nächste Generation weitergegeben, an die Oberfläche geholt wird, damit man es sich genau anschauen und damit man es spüren kann.
Da spielen das Konservieren und Dokumentieren eines schon oder vielleicht irgendwann nicht mehr existenten Zustands eine große Rolle.
Ja. Einerseits das, andererseits aber auch wiederum das Sehenwollen. Ich finde, dieser Schmutz hat eine große Schönheit. Ich bin dafür, dass man einige diese Fassaden so versehrt belässt und nicht chic macht, aber ohne dass man mit dem didaktischen Finger darauf zeigt. Visionäre und utopische Fassaden können natürlich glatt sein, aber mittelmäßige glatte Fassaden finde ich wirklich grausam. Die Fassaden-Negative funktionieren ähnlich wie eine fotografische Langzeitbelichtung, die vom Zeitpunkt des Einschusses bis zum Zeitpunkt der Abformung eine Aufnahme macht. Durch den Silikonabdruck wird die vollständige Oberfläche mitgenommen: das Graffito, der Dreck, der Staub, der Putz. Ich habe die Fassaden genau deshalb aus dem klebrigen, anschmiegsamen Silikon gemacht, das alles bis ins letzte Detail abbildet und die Einschusslöcher an die Oberfläche holt.
Das Sichtbarmachen des Negativen ist hier besonders wichtig, aber genauso zentral ist es, sich darüber klar zu werden, dass man es hier mit einem Negativ zu tun hat. Zum Beispiel, wenn aus Einschusslöchern, die zuvor Hohlräume waren, regelrechte Zapfen werden, die einem entgegenkommen.
In dem Moment, da man das Negativ sieht, sieht man mehr davon als im Positiv. Man stellt sich ja auch im Stadtraum selten vor eine Fassade und schaut sich eine Hauswand wirklich genau an. Indem man etwas negativ sieht, entsteht eine Art positives (Er-)Staunen, durch den Anblick des Ungewohnten und Komischen, durch das Sich-Wundern fängt man an, in einen produktiven Gedankenprozess einzutreten. Wenn man etwas mit den Händen macht, bekommt man ein völlig anderes Bewusstsein für die Materie. Mit Abdrücken zu arbeiten bedeutet, anders zu sehen. Das ist ein Spezifikum des Negativs, man nimmt eine andere Perspektive ein, man blickt von innen nach außen. Vor den Negativ-Abdrücken der Fassaden stehend blickt man sozusagen aus dem Inneren der Wand oder Mauer nach draußen in die Welt, von innen nach außen. Das entspricht ganz und gar meiner Arbeitsweise, das Konzeptuelle und das Emotionale miteinander zu verbinden.
A Conversation with Asta Gröting and Veronika Tocha
Asta Gröting, why do you work with casting techniques?
The first stage of my training as a sculptor was devoted to moulding and making casts. Modelling material on material was my conceptual choice from the word go, but it has taken me years and years to become fully aware of the conceptual and emotional possibilities inherent in this technique. What is conveyed by an impression, by the direct action of matter on matter, has great intensity. Touching takes place, comparable to the imprint a shoe leaves in snow or the classic positive-negative forming process. I connect existing forms and structures with the proof that contact had been made.
Much of your work is to do with negatives, but Acker (Soil, 2013) is a positive.
That’s right. We emptied twenty sacks of plaster on to a field. Once the plaster had set, we divided the whole thing into four parts and transported these to the studio, where the heavy plaster negatives were deposited on the floor. At first I was nonplussed – I had actually thought this was going to be it. But the negatives did not work, it was impossible to recognise them as part of a ploughed field. The furrows that in reality are deep incisions in the soil had become steep ridges in the negative. If things appear different to what we are used to, this causes a sense of surprise, producing positive feelings in the brain, in the frontal lobes of the cerebrum. But this only works when you recognise things for what they are and when you are able to form associations.
And this is why you had to transform the negative into a positive, so that it is possible to understand what one is confronted with?
Exactly. Acker exists as a positive in several versions. I experimented with it. At first I made an earthy coloured Acker, then I painted it with phosphorus so that it emits light in the dark like the moon; the last few iterations are coated in various gold alloys. Moulding gives you the possibility of introducing variations from one cast to the next.
In the exhibition, the gilded version is placed on display. Does gilding reflect a desire on your part to express an appreciation of agriculture?
Yes, I wanted to show how precious soil is. Up until only a few decades ago the majority of the population were farmers, working the land all day long. The harvest generated in this way fed kings, queens, civil servants, artists and thinkers. A tilled field allows you to see how all of human society is interconnected. Any kind of foodstuff contains the labour of farmers, immigrants, farmworkers, lorry drivers and depends in turn on the global climate and on centuries-old experiments with cultivation methods. It is the tilled field that ensures we are mutually connected with other people. Gold is a synonym both for material and spiritual abundance. It embodies what is precious, faithful, desirable and coveted. Gold’s glow conveys warmth and brilliance, like light and the sun.
Working with plaster plays an important role in your work. In the end, however, you usually end up working with other materials such as silicone. It is important in this context to remember that silicone has now largely usurped the role of gelatine as the moulding material of choice in plaster casting.
Silicone is stable, durable and easily lends itself to tasks of all kinds. Moulding the four-metre-wide facade in individual plaster or gelatine elements, sixteen metres above the ground, would have been extremely challenging. You only do that if you are concerned with the upkeep of a tradition, as is the case with the Gipsformerei. There are those large-format plaster negatives taken from the Pergamon Altar, which have to be assembled like a 3D puzzle from hundreds of pieces. Space between Lovers (2014) or Space between Two People Having Sex (2008) could not have been realised in plaster. Since this involved a couple having sex, we only had a few minutes for the moulding; this meant we had to use a material which required a minimum setting time. The material properties of silicone added an entirely new aspect. Removing the silicone from the bodies generated a form I could not possibly have thought of in advance. It had been my plan to conceptually turn the space between the couple inside out. Since the negative impression was a soft silicone skin, the form unfolded from there. This was not as I had planned. I had not even thought that far ahead as I was only keen on seeing what kind of form would emerge. Given silicone’s material properties, the initial idea had been to make way for new possibilities: the first impression of a couple engrossed in a performance of intimacy was realised in a series of changeable forms and materials – in rose silicone and in crystal clear or silvery polyurethane.
The sculpture of the lovers shows the most intimate moment imaginable between two people. Did you make use of the moulding technique to depict this moment as lifelike as possible?
No, what I wanted to see was something that cannot normally be seen: the space, the air, between a couple making love. This is actually a protected space; it comprises everything that one cannot say or does not want to say. This is generally true of human relationships. It concerns two people and what happens between them, with everything that belongs in that space, with what is concealed and what is unutterable and unnamable. Of all this I made an impression, based on physical touch through applying material to skin. As this was made visible, the question of touching became prominent and remained physically present as the negative. Furthermore, if the skin has access to an individual’s physical and mental condition, it can in turn bring to the surface all kinds of feelings – historical and personal – which become visible in marks and traces. Conceptually and emotionally, all this is about togetherness, and the same is true of Acker and the facades, in which internal space is brought to the surface by sculptural exploration.
What are we to make of the content of the facades?
During the clean-up of Berlin a great (and still growing) number of damaged house facades disappeared. It is part of the strategy of cities to create new, smooth facades and erase those that show wear and tear. I wanted to document Berlin’s last surviving, war-damaged, bullet-pocked facades. The facade is a building’s face. The terms ‘facade’ and ‘face’ obviously have a good deal in common. ‘Facade’ is derived from Latin facies, face. There are crumbling facades, and behind a facade a lot may remain hidden. A source of immediate fascination when one looks at a face are its scars and injuries. Facades, like faces, have scars and injuries. Evidence of damage, traces of destruction, cracks that leave open gaps exposing the past are experienced as more moving than the smooth and unruffled. The facades we moulded were damaged in the street fights between the Red Army and the Wehrmacht during the last two weeks of the war in April 1945. What interests me is what is suppressed: the wounds, the mental scars, the trauma which has perhaps been passed on to the next generation. It can be brought to the surface to be examined and experienced at close quarters.
Conservation and documentation of a state of affairs that will likely cease to exist at some point in the future obviously play a significant role here.
Yes. But that is only one side of the coin. The flip side is again the desire to see. I happen to think this dilapidated state has great beauty. In my view, some of these facades should be left as they are rather than being vamped up – this should be done with no didactic hype at all. Visionary and utopian facades have every right to be smooth, but mediocre smooth facades are an eyesore for me. The facade negatives function like a photographic time exposure, spanning the interval between the grenade hit to the time when the mould was taken. The silicone impression preserves the surface in all its details: the graffiti, the dirt, the dust, the render. This is why for Berlin Fassaden (2017) I used gooey, supple silicone, which depicts everything faithfully, right down to the smallest details as well as bringing the bullet holes up to the surface.
Making the negative visible is especially important in this case. No less crucial, though, is for the viewer to be aware that what they are dealing with here is a negative. The bullet holes, for instance, originally hollow spaces, now appear as regular cones jutting out to meet you.
Once you see the negative you get to see more than you would if you were looking at the positive. After all, you hardly ever stand in front of a facade and really inspect the wall up-close. When you catch sight of the negative, a sort of positive astonishment sets in, fostered by seeing something that is unusual, or even outrageous, comical too, and this astonishment may trigger a productive thought process. If you make things with your hands, you gain a totally different awareness of matter. Working with impressions means seeing things differently. It is one of the specific characteristics of the negative that it forces you to adopt a different perspective: you are looking outward from inside. Standing in front of the negative impressions of the facades, your gaze is directed from inside the wall to the outside, to the world. This perfectly corresponds to my working method of linking the conceptual with the emotional.